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Tankred Tabbert

Fahndungsaufruf "1.000 Euro Belohnung - Wem gehört diese Überwachungskamera?"


Am 03. September 2015 erging in Hamburg folgender bundesweite Fahndungsaufruf:

"Am Rand der S-Bahn-Station Stellingen, etwa 15 Meter von der Station entfernt, befindet sich diese Überwachungskamera. Die Kamera ist direkt auf ein Wohnhaus gerichtet und verletzt das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Weder die Polizei Hamburg, noch Landes- und Bundespolizei erklären sich für die Anlage verantwortlich, ebenso wenig die Hamburger S-Bahn. Bislang ist daher ungeklärt, wer, warum und zu welchem Zweck die Überwachungskamera auf das Wohnhaus ausrichtete. Wer kann Angaben machen zu den Eigentümern dieser Überwachungskamera bzw. deren Verantwortlichen?

Für Hinweise, die zu einer Aufklärung und Ermittlung der Eigentümer führen, ist eine Belohnung im Wert von 1.000 Euro ausgesetzt. Über die Zuerkennung und Verteilung wird unter Ausschluss des Rechtsweges entschieden. Die Belohnung ist ausschließlich für Privatpersonen und nicht für Amtsträger bestimmt, zu deren Berufspflicht die Verfolgung strafbarer Handlungen gehört. Auf Wunsch wird Vertraulichkeit geprüft. Auch sachdienlichen Hinweisen wird nachgegangen. Hinweise bitte an den Medienkünstler Tankred Tabbert unter http://tankred-tabbert-art.de.tl oder an jede Polizeidienststelle."



Video-Installation "Eyeball" (2015)

Kunstaktion auf der Hamburger Reeperbahn/Ecke Große Freiheit vom 10. Juli bis 10. August 2015. 



Es handelt sich um ein ursprünglich Zen-inspiriertes Video, das einerseits zum Assoziieren und Meditieren einlädt (es beruht auf einem Traum und der Bedeutung, die das Kreis-Symbol im Zen-Buddhismus besitzt).

Im öffentlichen Raum andererseits entfaltet das unabwendbare, aufdringliche und ein wenig freakige Auge eine im Gegenteil sehr krasse und beunruhigende Wirkung:

Es entsteht ein völlig neues Gefühl dafür, was es bedeutet, beobachtet zu werden und man fühlt sich auf unangenehme Weise überwacht. Die sonst meist unbemerkt und abstrakt ablaufende Überwachung erhält plötzlich ein persönliches Gesicht, die "Herrschaft des Blicks" wird spürbar. Gleichzeitig erhalten die Betrachter das Gefühl, dass die anonymen Überwacher aus ihrer Anonymität herausgerissen werden und die zermürbende Schattenseite des Dauer-Überwachens, unter der das Auge offenbar leidet, kann in ihrer Verletzlichkeit und Ödnis auch Hoffnung auf ein Ende der unerträglichen Überwachung machen.

"Eyeball" im öffentlichen Raum ist eine weitere Variante meiner "minimal invasiven Kunst", die seit Mitte der 1990er Jahre in Formen des Alltags eindringt, in denen Kunst sonst nicht stattfindet.

Herzlichen Dank an www.kultscreens.de für das Ermöglichen und die großzügige Unterstützung!



Serie "Autoportraits" (Seit 2015; Digiprints; Dimensionen variabel)

Ende der 1990er Jahre beschäftigte ich mich als frischgebackener Medientheorie-Dozent viel und gerne mit "öffentlichen Intimsphären", die auch häufig Gegenstand der damaligen Gegenwartskunst waren (z.B. Jeff Koons, LaLoba, Bettina Rheims, Sophie Calle). Bereits damals war "Kunst und Überwachung" (siehe meinen separaten Blog) ein wichtiges Thema, aber öffentliche Intimsphären als selbstständiges Genre waren damals noch in größerem Umfang anzutreffen als derzeit, wohl weil die Überwachung noch nicht so allumfassend war wie heute. Da mich nicht nur öffentliche Intimsphären sehr interessieren, sondern auch ihr historischer Wandel, habe ich also aus meinem Auto heraus andere Autofahrer in ihren Autos portraitiert:

Denn die Innenräume unserer Autos sind öffentliche Intimsphären par excellence - wir bewegen uns in ihnen sichtbar im öffentlichen Raum und werden so Teil des öffentlichen Raums, sie stehen als Element des überwachten Verkehrs gleichzeitig im Fadenkreuz der Verkehrskontrolle und dennoch werden sie von ihren Benutzern gewohnheitsmäßig wie Privaträume behandelt. Die Spannungen und Verwerfungen öffentlicher Intimität lassen sich somit an den Innenräume von Personenkraftwagen und deren "Bewohnern" exemplarisch ablesen, aber eben auch, wie sich das Wesen öffentlicher Intimsphären in den vergangenen Jahren durch gewandelte gesellschaftliche Zustände ebenfalls verändert hat. Portraits sind diese Aufnahmen für mich insofern, als die Bilder auf ihre eigene Weise Psychogramme der abgebildeten Menschen darstellen, in Momenten, in denen sie häufig ganz sie selbst und ganz bei sich selbst sind oder in denen die Qualität ihrer Beziehung zueinander lesbar wird.

Einige wenige der unfreiwillig und ohne Absprache fotografierten Personen bemerkten mein Fotografieren und wurden deshalb mitunter recht wütend, denn sie konnten sich gegen diese Art der Erfassung der eigenen Person nicht wehren, waren der heimlichen Erfassung hinterrücks hilflos ausgeliefert und hatten vor allem keinen Einfluss darauf, was mit den Bildern von ihnen geschieht. Der Verkehrsfluss hinderte sie allerdings daran, irgendetwas dagegen unternehmen zu können und ein Gefühl der Ohnmacht blieb. Vielleicht nehmen diese Personen diese Gefühle in Zukunft auch in anderen Situationen wahr, in denen sie erfasst werden?






Serie "Suspects" (2013), Digiprints, je 20,5 x 15,3 cm


Das Jahr 2013 war das Jahr des NSA- und diverser weiterer Überwachungsskandale, die allerdings nicht die breiten Proteste auslösten, die ich erwartet hätte. Wie sich herausstellte, hatten noch die krassesten Verschwörungstheoretiker mit ihrer Paranoia deutlich untertrieben.

Aus künstlerisch-ästhetischer Sicht ist diese Überwachung nicht sinnlich wahrnehmbar, weil sie heimlich vonstatten geht, ohne dass die Betroffenen dies bemerken oder auch nur die Chance haben, davon zu erfahren. Mich befremdete, dass wir alle durch diese Überwachung immer, überall und grundsätzlich zu Verdächtigen abgestempelt werden. Diese Vorgänge wollte ich in das Sichtbare hineinholen und mit meinen Arbeiten auf einfach zu verstehende Weise sinnlich erfahrbar machen.

Dazu habe ich gezielt und offensichtlich die Privatsphäre anderer Menschen verletzt (was die Geheimdienste verdeckt taten) und auf meinen Bildern die Verdächtigten tatsächlich mittels eines Stempels zu Verdächtigen abgestempelt. Deutlich wird sicherlich auch, dass sich die Überwachung und der Generalverdacht auf alle Lebensbereiche erstrecken. Für mich bleibt ein unangenehmes Gefühl, wenn Bürger ihrem Staat nicht mehr vertrauen können und der Staat mit seinen "Diensten" selbst zum Hauptverdächtigen aus Sicht seiner Bürger wird. Zu alledem passte, dass auch die Digitalfotos, die ich ausdrucken ließ, nummeriert, codiert und erfasst wurden... Aber schützt die totalitäre Überwachung nicht auch uns alle davor, eventuell einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen?

Das Urteil möchte ich den Betrachtern überlassen, um aber diesen wichtigen Aspekt nicht zu vernachlässigen, ist auf einer der Arbeiten ein "echter" Verdächtiger abgebildet, der bis heute im Zusammenhang mit einem Sprengstoffattentat von der Polizei gesucht wird. Wer ist es? Woran erkennt man einen Attentäter? Sehen Attentäter irgendwie anders aus als alle anderen? Könnte es nicht jeder sein? Ich bin gespannt, ob ihr den echten Verdächtigen findet... wenn ja, lasst es mich wissen!

Ach ja, und eine alte Frage bleibt natürlich auch noch: Wer überwacht die Überwacher? Muss eine demokratische Überwachung der Überwacher eine Utopie bleiben oder haben wir es noch in der Hand, diese Utopie Wirklichkeit werden zu lassen?


















"Geblitzt" (CD-ROM 2001)
 


Mein Beitrag für den "Internationalen Medienkunstpreis 2001" des "Zentrums für Kunst und Medientechnologie" Karlsruhe unter technischer Mitwirkung von Siegfried Hopf (nochmals ganz fetten Dank Siggi!).
Das Thema lautete "Control space - Die wachsame Gesellschaft" (das Thema scheint mich zu verfolgen).

In meinem Wettbewerbsbeitrag ging es darum, dass alle führenden Medienwissenschaftler der damaligen Zeit den Bildern (egal ob anolog oder digital) jegliche Beweiskraft absprachen, die "Realität" - wie auch immer - beweisen zu können.

Wenn ich aber mit meinem Auto geblitzt wurde, wollte sich der zuständige Verkehrsrichter dieser wissenschaftlichen Lehrmeinung einfach nicht anschließen.
In einer Mischung aus Ironie und Provokation habe ich daher den Spieß umgedreht und mit einer Verkehrsüberwachungskamera meine damalige Stadt abfotografiert - und so endlich Aufnahmen erzeugt, die die Wirklichkeit meiner Stadt zweifelsfrei belegen, sozusagen amtlich, nämlich "erkennungsdienstlich". Der "clash" dieser Diskurse harrt bis heute darauf, den Rasern dieser Welt in ihrem asozialen Treiben beizustehen.

Warum ich den ersten Preis damals nicht gewonnen habe, ist mir bis heute ein Rätsel... :=)

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